Mittwoch, 21. Dezember 2011

When People Fade Away


Sie sitzt da, wie eine Taube, deren Flügel gestutzt wurden. Zusammengekauert, hilflos. Sonst spielt sie immer die Starke. Jetzt hören die Tränen nicht auf zu fließen. Immer weiter. Ihre Augen sind rot unterlaufen, glänzen dennoch grün. Wow! Was für ein Grün! So kraftvoll, so lebendig. Trotzdem ... sie ist am Boden. Sie wirkt klein und zerbrechlich, obwohl sie in Wahrheit einfach nur groß und stur ist. Die Tränen kullern weiter. Sie versucht sich zusammenzureißen, das merkt man, aber ihr Körper zittert, die Tränen rinnen – ohne einen Laut, mit einem Laut. Was ist bloß los mit ihr? Sie wird garstig, wenn man nachfragt. In der einen Minute lehnt sie sich an, wie ein verletztes Tier, das nicht mehr kann – in der anderen Minute schnellt sie zurück, will, dass man geht, will ... wahrscheinlich nicht so gesehen werden. Ihr tut etwas weh. Irgendwas oder irgendwer hat sie mit voller Wucht erwischt. Sonst stünde ihr das Elend jetzt nicht so ins Gesicht geschrieben. Da sind sie wieder, diese Augen, diese großen, prachtvollen Augen. Sie funkeln, sie werden sich nie ergeben, obwohl sie genau wissen, dass gerade die zielsichere Waffe der Frage auf sie gerichtet ist. Aber sie will nicht. Nein, wenn sie nicht will, kann man nichts machen. Man kann sie nicht in den Arm nehmen, dann käme sie sich ausgeliefert vor und das wäre wohl das Letzte, was sie wollte. Man kann sie nicht anschreien, weil sie einen dann hysterisch zu Nichte machen würde. Sie gibt nicht auf, sie gibt niemals auf. Sie kann noch so verletzt sein, so verletzt wie jetzt, dass sie sich nicht mehr unter Kontrolle hat, sich wahrscheinlich nach Drogen und Alkohol – Zerstreuung eben – sehnt, aber sie würde nie zugeben, dass sie verletzt ist, dass jemand sie verletzen konnte. Sie sitzt da und heult. Sie ist fertig. Eindeutig. Kein Widerspruch, aber sie würde sich niemals die Blöße geben, nur im Entferntesten den Grund zu nennen. Heulen scheint ok, ein bisschen neben der Spur eben ... aber einfach mal zugeben, dass es einem beschissen geht, nein ... nein, das würde sie nicht. Niemals – würde sie jetzt sagen. Niemals, nein, niemals. Doch die Tränen kullern weiter. Sie fließen aus ihren Augen auf die Wangen. Rechts, links, rechts, links. Es hört nicht auf. Beim Abwischen erwischt sie immer nur eine Seite, so dass sich die andere Träne den Weg zum Mundwinkel bahnen kann. Ihre Hand versucht dazwischen zu fahren, doch auf der anderen Seite gleitet die Träne schon ihr Kinn hinab und tropft auf ihre Hose. Sie sitzt im Schneidersitz da. Sie hört einfach nicht auf zu weinen. Jetzt steht sie auf, läuft in die Küche, immer noch in sich zusammengesunken. Würde man sie jetzt anrempeln, würde sie keine Sekunde stehen bleiben. Man macht es besser nicht. Den Wutausbruch möchte man nicht über sich ergehen lassen. Jetzt tut sie so, als hätte sie sich gefangen, schenkt sich Wein ein. Es klirrt. Scheiße! Wäre ihr nicht so elend zumute, würde sie jetzt brüllen. Das Schluchzen wird lauter, sie streckt ihren Kopf gen Decke, versucht die Tränen aufzuhalten, sie zurückfließen zu lassen. Auch sie weiß, dass das unmöglich ist. Sie hält sich an der Tischkante fest, sackt noch mehr zusammen. Gleich bricht sie zusammen. Das kann jeder erkennen. Wäre sie allein, würde sie schon längst auf dem Boden kauern. Verdammt noch mal, was ist passiert?! Warum redet sie nicht? Lange kann man das nicht mehr ertragen. Sie steht da. Still in die Gegend starrend. Man guckt sie an und weiß, dass sie nicht gesehen werden will. Jetzt bricht sie schon wieder in Tränen aus. Ihr ist nicht zu helfen. Man kann ihr einfach nicht helfen. Sie versteckt ihr Gesicht hinter ihren Händen, versucht sich zu fangen, nimmt einen Schluck. Es wird niemals enden, es wird einfach nicht enden. Man kann nur daneben stehen und alles verfluchen, was sie so aus der Fassung gebracht hat. Jetzt schaut sie einen direkt an. Da ist nichts, das ist einfach nichts. Ihr Blick ist leer, die leuchtenden Augen eine Farce. Es gibt keinen Ausweg. Sie redet nicht! Wird sie auch nicht. Sie hat kein Vertrauen. Sie vertraut nur sich selbst – und auch das die meiste Zeit nicht ...