Sie
sitzt da, wie eine Taube, deren Flügel gestutzt wurden.
Zusammengekauert, hilflos. Sonst spielt sie immer die Starke. Jetzt
hören die Tränen nicht auf zu fließen. Immer weiter. Ihre Augen
sind rot unterlaufen, glänzen dennoch grün. Wow! Was für ein Grün!
So kraftvoll, so lebendig. Trotzdem ... sie ist am Boden. Sie wirkt
klein und zerbrechlich, obwohl sie in Wahrheit einfach nur groß und
stur ist. Die Tränen kullern weiter. Sie versucht sich
zusammenzureißen, das merkt man, aber ihr Körper zittert, die
Tränen rinnen – ohne einen Laut, mit einem Laut. Was ist bloß
los mit ihr? Sie wird garstig, wenn man nachfragt. In der einen
Minute lehnt sie sich an, wie ein verletztes Tier, das nicht mehr
kann – in der anderen Minute schnellt sie zurück, will, dass man
geht, will ... wahrscheinlich nicht so gesehen werden. Ihr tut etwas
weh. Irgendwas oder irgendwer hat sie mit voller Wucht erwischt.
Sonst stünde ihr das Elend jetzt nicht so ins Gesicht geschrieben.
Da sind sie wieder, diese Augen, diese großen, prachtvollen Augen.
Sie funkeln, sie werden sich nie ergeben, obwohl sie genau wissen,
dass gerade die zielsichere Waffe der Frage auf sie gerichtet ist.
Aber sie will nicht. Nein, wenn sie nicht will, kann man nichts
machen. Man kann sie nicht in den Arm nehmen, dann käme sie sich
ausgeliefert vor und das wäre wohl das Letzte, was sie wollte. Man
kann sie nicht anschreien, weil sie einen dann hysterisch zu Nichte
machen würde. Sie gibt nicht auf, sie gibt niemals auf. Sie kann
noch so verletzt sein, so verletzt wie jetzt, dass sie sich nicht
mehr unter Kontrolle hat, sich wahrscheinlich nach Drogen und Alkohol
– Zerstreuung eben – sehnt, aber sie würde nie zugeben, dass sie
verletzt ist, dass jemand sie verletzen konnte. Sie sitzt da und
heult. Sie ist fertig. Eindeutig. Kein Widerspruch, aber sie würde
sich niemals die Blöße geben, nur im Entferntesten den Grund zu
nennen. Heulen scheint ok, ein bisschen neben der Spur eben ... aber
einfach mal zugeben, dass es einem beschissen geht, nein ... nein,
das würde sie nicht. Niemals – würde sie jetzt sagen. Niemals,
nein, niemals. Doch die Tränen kullern weiter. Sie fließen aus
ihren Augen auf die Wangen. Rechts, links, rechts, links. Es hört
nicht auf. Beim Abwischen erwischt sie immer nur eine Seite, so dass
sich die andere Träne den Weg zum Mundwinkel bahnen kann. Ihre Hand
versucht dazwischen zu fahren, doch auf der anderen Seite gleitet die
Träne schon ihr Kinn hinab und tropft auf ihre Hose. Sie sitzt im
Schneidersitz da. Sie hört einfach nicht auf zu weinen. Jetzt steht
sie auf, läuft in die Küche, immer noch in sich zusammengesunken.
Würde man sie jetzt anrempeln, würde sie keine Sekunde stehen
bleiben. Man macht es besser nicht. Den Wutausbruch möchte man nicht
über sich ergehen lassen. Jetzt tut sie so, als hätte sie sich
gefangen, schenkt sich Wein ein. Es klirrt. Scheiße! Wäre ihr nicht
so elend zumute, würde sie jetzt brüllen. Das Schluchzen wird
lauter, sie streckt ihren Kopf gen Decke, versucht die Tränen
aufzuhalten, sie zurückfließen zu lassen. Auch sie weiß, dass das
unmöglich ist. Sie hält sich an der Tischkante fest, sackt noch
mehr zusammen. Gleich bricht sie zusammen. Das kann jeder erkennen.
Wäre sie allein, würde sie schon längst auf dem Boden kauern.
Verdammt noch mal, was ist passiert?! Warum redet sie nicht? Lange
kann man das nicht mehr ertragen. Sie steht da. Still in die Gegend
starrend. Man guckt sie an und weiß, dass sie nicht gesehen werden
will. Jetzt bricht sie schon wieder in Tränen aus. Ihr ist nicht zu
helfen. Man kann ihr einfach nicht helfen. Sie versteckt ihr Gesicht
hinter ihren Händen, versucht sich zu fangen, nimmt einen Schluck.
Es wird niemals enden, es wird einfach nicht enden. Man kann nur
daneben stehen und alles verfluchen, was sie so aus der Fassung
gebracht hat. Jetzt schaut sie einen direkt an. Da ist nichts, das
ist einfach nichts. Ihr Blick ist leer, die leuchtenden Augen eine
Farce. Es gibt keinen Ausweg. Sie redet nicht! Wird sie auch
nicht. Sie hat kein Vertrauen. Sie vertraut nur sich selbst – und
auch das die meiste Zeit nicht ...